3D Cocooner Bionische Gitterstrukturen aus der Robotik-Spinndüse
3D Cocooner Stabiles Leichtbauverfahren in dreidimensionalem Raum 04: Lichthärtender Kunststoff: Über vier UV-Lichter werden Glasfaser und Harz zu einem festen Gitternetz verschmolzen Baukunst und Architektur verbindet man in erster Linie mit dem Menschen. Aber auch in der Tierwelt entstehen beeindruckende Konstruktionen. Afrikanische Webervögel weben beispielsweise aus Blättern und Halmen kunstvolle Nester, in denen hunderte Tiere über mehrere Generationen hinweg leben. Und während Bienen, Wespen oder Termiten ihr Zuhause Schicht für Schicht aufbauen, erschaffen Spinnen und Schmetterlingsraupen imposante Gebilde mithilfe von Spinnfäden. Dazu produzieren sie eine Flüssigkeit, die außerhalb des Körpers zu einem festen Faden polymerisiert und sich so zu stabilen Netzen oder Kokons formen lässt. Davon inspiriert hat Festo im Rahmen seines Bionic Learning Network den 3D Cocooner entwickelt. Ähnlich einer Raupe spinnt er filigrane Gebilde und erschafft maßgeschneiderte Leichtbaustrukturen aus einem Glasfaserfaden. Mithilfe eines Handlings kann die Spinndüse präzise bewegt werden und die Glasfaser bei gleichzeitiger Laminierung mit UV-härtendem Harz zu den komplexen Strukturen verkleben. Im Gegensatz zu anderen 3D-Druckverfahren werden diese Strukturen jedoch nicht schichtweise auf einer Fläche, sondern tatsächlich frei im Raum aufgebaut. Als Handlingsystem dient dem 3D Cocooner ein vertikal angebrachter Tripod vom Typ EXPT-45. Die dreiarmige Parallelkinematik lässt sich präzise und schnell im Raum steuern und ist mit ihrer Beweglichkeit ideal für eine solche Aufgabe geeignet. Anstelle eines Greifers ist der Tripod mit einer speziell entwickelten Spinndüse ausgestattet, in die fortlaufend ein 2400-tex-starker Glasfaserroving eingefädelt ist. Echtzeitkonstruktion mit lichthärtendem Kunststoff Um den weichen Faden in eine feste Gitterstruktur zu verwandeln, wird er über ein Rollenpaar in der Düse vorgeschoben und gleichzeitig mit einem zähflüssigen Harz ummantelt. Direkt nach dem Austritt härtet ein UV-Licht die mit Harz getränkte Faser punktgenau aus und versteift sie zu einem robusten Stäbchen. Mit einer kleinen Trennscheibe wird der Faden abgeschnitten und die Düse kann an anderer Stelle neu ansetzen. Durch die exakte Regulierung des UV-Lichtes kann das Harz außerdem temporär flüssig gehalten werden, um ein neues Teilstück mit bereits entstandenen Strukturen zu verkleben. So ist der Aufbau komplexer Formen in dreidimensionalem Raum ohne jegliche Stützen möglich. Die nötigen Positionsdaten und Steuersignale erhält der Tripod direkt und ohne Zwischenschritte aus einer Animationssoftware, die üblicherweise zur Erstellung von virtuellen 3D-Modellen, Computergrafiken und Simulationen dient. Digitales Regelwerk zur individuellen Konfiguration In der Software entsteht das dreidimensionale Formmodell der gewünschten Struktur, das die Spinndüse physisch umsetzt. Der Körper wird dabei nicht durch eine traditionelle 3D-Modellierung aufgebaut, sondern nach parametrischen Bauprinzipien generiert. Dazu ist in einem speziell entwickelten Programm ein geometrisches Regelwerk hinterlegt, das die Grundform der Struktur und die Gestaltungsparameter bereitstellt – wie Höhe, Breite und Verdrehung des Körpers sowie Form und Anzahl der einzelnen Maschen. Der User muss nur noch die Parameter vorgeben, die Details berechnet das Programm automatisch. Dank der grafischen Benutzeroberfläche der Software kann selbst ein Laie die Gestaltungsmerkmale per Schieberegler beliebig anpassen und so aus der hinterlegten Grundform seine individuelle Struktur konfigurieren. Direkte Ansteuerung der Tripod-Kinematik Neben dem parametrisch konstruierbaren Objekt ist in der Software auch das gesamte Handling virtuell hinterlegt. Dadurch kann hier die komplette Bahnplanung direkt berechnet und optisch simuliert werden, wobei alle wesentlichen Prozessparameter wie Geschwindigkeiten, Fadenvorschub oder Harzmenge bereits berücksichtigt und exakt aufeinander abgestimmt sind. Der tatsächliche Produktionsprozess wird aber nicht nur virtuell abgebildet. Er lässt sich auch ohne weiteres starten. Auf Knopfdruck überträgt das Programm die gewünschte Geometrie auf die Fahrwege der Kinematik. Die Übersetzung der Formparameter in die Steuerung des Handlingsystems erfolgt dabei durch einen direkten Softwarezugang. Dieser direkte Weg vom Gestaltungs- zum Produktionstool ist in der aktuellen Produktionsumgebung sehr unüblich. Er ist aber eine wichtige Voraussetzung für die individualisierte Fertigung in der Zukunft. Die effiziente und flexible Produktion der Losgröße 1 spielt in den Gedanken zu Industrie 4.0 eine wichtige Rolle. 01: Präzise Fahrwege: Durch die äußerst bewegliche Tripod-Kinematik lässt sich die Düse frei im Raum bewegen 02: Virtuelles Abbild: Sowohl Formmodell als auch Handling sind in der Animationssoftware visuell hinterlegt 03: Natürliches Vorbild: Den daumengroßen Kokon dieses Kleinschmetterlings findet man im Regenwald Ecuadors 01 02 04 03 2 Festo AG & Co. KG 3 3D Cocooner: bionische Gitterstrukturen aus der Roboterspinndüse
3D Cocooner Komplexe Gitterstrukturen aus der Robotik-Spinndüse Besonderheiten vom natürlichen Vorbild Ob beutefangendes Netz oder schützender Kokon – Spinnen und Schmetterlingsraupen können mithilfe ihrer Spinnfäden erstaunliche Gebilde erschaffen. Dazu produzieren sie eine Flüssigkeit, die beim Austritt aus dem Körper zu einem Faden aushärtet. Im Falle der Schmetterlinge wird der Faden durch gezielte Kopfbewegungen um die Raupe gelegt und zu einem filigranen und doch äußerst stabilen Kokon verwebt. Technischer Nutzen für Festo Für den 3D Cocooner haben die Entwickler einen Tripod aus dem Standardprogramm von Festo mit einer speziellen Düse ausgestattet. Mithilfe von UV-härtendem Harz spinnt sie aus einem weichen Glasfaserfaden komplexe und ebenso stabile Formen, die den natürlichen Strukturen sehr ähnlich sind. Die nötigen Steuerbefehle erhält die Kinematik direkt aus dem Designprogramm, in dem das dreidimensionale Formmodell generiert wird.
3D Cocooner Neue Fertigungstechnologie mit enormem Potenzial 01: Parametrisches Design: Aus ein und derselben Grundform lassen sich unterschiedlichste Varianten generieren 02: Neuartige Konzepte: Die einzigartige Bauweise eröffnet grenzenlose Gestaltungsmöglichkeiten 03: Digitale Fabrikation: Die Software überträgt die Geometrie der Struktur direkt auf die Fahrwege des Tripods Auch wenn herkömmliche Spritzgussverfahren im Hinblick auf Toleranz und Maßhaltigkeit heute noch überlegen sind, gehören additive Fertigungsmethoden bereits zu den gängigen industriellen Herstellungsverfahren. Vor allem im Modellbau, für die Erstellung von Prototypen und Endprodukten in kleiner Stückzahl ist der 3D-Druck mittlerweile unerlässlich. In der Regel wird die gewünschte Form Schicht für Schicht nach der Vorgabe aus einem CAD-Programm aufgebaut. Je nach Verfahren werden dabei Pulver, Granulate oder thermoplastische Filamente zeilenweise zu einem festen Körper verschmolzen. Frei im Raum druckbare Materialien – wie die im 3D Cocooner eingesetzte UV-härtende Glasfaser – sind dagegen bisher höchstens Teil der Grundlagenforschung und noch nicht marktreif verfügbar. Neue Dimensionen der Produktgestaltung Mit dem 3D Cocooner hat Festo einen bionischen Technologieträger entwickelt, der die individuellen Vorteile von additiven Fertigungsverfahren mit der Präzisionssteuerung und Agilität eines industriellen High-Speed-Handlings vereint. Ein solch neuartiges Werkzeug erlaubt Formen und Strukturen, die mit herkömmlichen Produktionsmitteln nicht realisierbar sind. Die filigranen Körper aus Stabwerken eröffnen neue Dimensionen der individuellen Produktgestaltung. Maximale Varianz bei minimalem Materialeinsatz Komplexe Körper, die bisher nur in der Simulation an einem Rechner als virtuelles Modell dargestellt werden konnten, nehmen nun physische und haptische Gestalt an. Geometrische Korrekturen können dabei bereits in einer Frühphase vorgenommen werden, was den Entwurfsprozess signifikant erleichtert. Der Faden lässt sich an beliebigen Punkten der Gitterstruktur neu ansetzen und weiterbauen. Daraus ergibt sich eine nahezu unendliche Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten bei minimalem Materialeinsatz. Die UV-gehärtete Glasfaser selbst ist erstaunlich zug- und biegefest. Würde man mehrere 3D Cocooner über ein Netzwerk zusammenschließen, ließen sich in sehr kurzer Zeit umfangreiche Strukturen aufbauen, die dank ihrer Stabilität großes Einsatzpotenzial in den unterschiedlichsten Bereichen hätten. Insbesondere in Branchen wie der Verpackungsindustrie oder der Medizintechnik eröffnet sich aus dieser Technologie eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten. Mit der Integration der Spinndüse in den Tripod erproben die Entwickler außerdem, wie sich bestehende Standardkomponenten für die digitale Fabrikation und damit die Produktionsaufgaben der Zukunft erweitern lassen. Digitale Veredlung für eine flexible Produktion In der Industrie ist ein grundlegender Wandel im Gang. Der Trend geht zum individualisierten Produkt. Deshalb entstehen neben der etablierten Massenproduktion immer flexiblere Fertigungsanlagen, die sich auf die kleinen Stückzahlen und die hohe Variantenvielfalt einstellen können – darunter auch agile Konstruktionsverfahren, mit denen sich durch additives Manufacturing individuelle und maßgeschneiderte Waren in Echtzeit herstellen lassen. Um diese Komplexität zu beherrschen, müssen Anlagen und Komponenten in der Lage sein, sich untereinander abzustimmen. Deshalb entsteht im Rahmen von Industrie 4.0 ein Digitalisierungsprozess, der die klassischen industriellen Prozesse mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien verschmelzen lässt. Die eingesetzten Komponenten werden um die nötigen Fähigkeiten veredelt, indem sie funk- und speicherfähige Label mit eigener Rechenkapazität erhalten. So können sich zukünftig Subsysteme, Werkzeuge, Transporteinheiten und Materialien auf der Maschinen- ebene selbst zu einer Produktionseinheit organisieren. Vom virtuellen Modell zum fertigen Produkt Bei einem System wie dem 3D Cocooner liefert das virtuelle Designprogramm die Bauanleitung direkt an die Werkzeugebene. Dadurch gelingt es, digital vom Entwurf bis zum fertigen Produkt zu gelangen – ohne Umwege über die sonst üblichen Vertriebs-, Fertigungs- und Logistikkanäle. Das erklärte Ziel, die Losgröße 1 zu vertretbaren Kosten auf automatisierten Großanlagen der Industrie anbieten zu können, rückt mit derartigen Lösungen einen Schritt näher. Ebenso entfallen bei einer solchen On-Demand-Produktion die Lagerhaltungskosten für fertige Werkstücke. Lediglich die Rohmaterialien müssen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, während die fertigen Waren sofort an den Kunden ausgeliefert werden können. 03 01 02 6 Festo AG & Co. KG 7 3D Cocooner: bionische Gitterstrukturen aus der Roboterspinndüse
Technische Daten • Konstruktionssoftware: ...............................................Cinema 4D • Mehrachs-Kinematik: .................................. Festo Tripod EXPT-45 • Bauraum: ................................................. ca. 450 × 300 × 600 mm • Baugeschwindigkeit: ......................................................10 mm/s • UV-Licht: .......................... fasergekoppelte LED; 365 nm; 9,3 mW • Material: .................. Glasfaserroving mit 2400 tex zur Erzeugung ................................ von Glasfaserstäben mit 2 mm Durchmesser ....................................................... und 60 % Faservolumenanteil • Gewicht Glasfaserstab: ................................................... 5–7 g/m • UV-Kunststoff: ........................1-Vinylhexahydro-2H-azepin-2-on, ........................................................................... Acrylatmischung Bildnachweis, Seite 3: Bild 03: © Morley Read/Alamy Stock Foto Projektbeteiligte Projektinitiator: Dr. Wilfried Stoll, Geschäftsführender Gesellschafter Festo Holding GmbH Projektleitung: Dr.-Ing. Heinrich Frontzek, Dr.-Ing. Elias Knubben Festo AG & Co. KG Stephan Henrich Stephan Henrich, Robotikdesign und Architektur, Stuttgart Projektteam: Stephan Droste Tekt.io, GmbH Stuttgart Ruben Spycher Zürich, Schweiz Daniel Jentsch Karlheinz Willius, Festo AG & Co. KG Wissenschaftliche Betreuung: Dr. rer. nat. Nina Gaißert Festo AG & Co. KG Link Festo AG & Co. KG Ruiter Straße 82 73734 Esslingen Deutschland Telefon 0711 347-0 Telefax 0711 347-21 55 cc@festo.com www.festo.com/bionik 50043 de 4/2016
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