Was können wir von der Natur lernen? Welche Fähigkeiten aus der Tierwelt lassen sich für industrielle Anwendungen nutzen? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns im Bionic Learning Network seit Jahren. Im Verbund mit Hochschulen, Instituten und Entwicklerfirmen entwerfen wir Forschungsträger, deren technische Grundprinzipien aus der Natur abgeleitet sind. Ein immer wiederkehrendes Thema sind dabei die einzigartigen Bewegungen und Funktionen des Elefantenrüssels.
Mit dem Bionischen Handling-Assistenten (2010), dem BionicMotionRobot (2017) und dem BionicSoftArm (2019) ist im Laufe der Zeit eine Reihe pneumatischer Leichtbau-Roboterarme entstanden. Sie alle können mit ihren flexiblen Balgstrukturen die fließenden Bewegungsabläufe des natürlichen Vorbilds mühelos umsetzen. Im Zuge ihrer Weiterentwicklung wurden die bionischen Konzepte immer kompakter, waren kleiner gebaut und schneller in Betrieb zu nehmen.
Für den filigranen Bionic E-Trunk haben unsere Entwickler in Kooperation mit dem Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik aus Saarbrücken den Gedanken der Miniaturisierung weiter vorangetrieben und die natürlichen Bewegungsformen erstmals elektrisch angetrieben umgesetzt.
Aufgebaut ist der Bionic E-Trunk aus zwei 140 Millimeter langen Segmenten, deren Durchmesser sich verjüngt. In ihrem Zentrum verläuft eine Struktur aus 3D-gedrucktem Material sowie ein superelastischer Stab zur Stabilisierung in Längsrichtung. Um dieses einer Wirbelsäule ähnelnde Zentrum herum sind dünne Drähte aus einem speziellen metallischen Werkstoff, einer so genannten Formgedächtnislegierung, angeordnet.
Die Formgedächtnislegierung existiert je nach Temperatur in zwei unterschiedlichen Strukturen: Wird sie erwärmt – zum Beispiel mit Hilfe von Strom – verkürzen sich die Drähte. Beim Abkühlen „erinnern“ sie sich an die frühere Formgebung und kehren in ihre ursprüngliche Position zurück. So lässt sich der Bionic E-Trunk individuell und kontrolliert in beliebige Raumrichtungen verbiegen. Je dünner die Drähte sind, desto schneller erhitzen sie sich, kühlen wieder ab und reagieren damit direkter auf ihre Ansteuerung.
Beim Aufbau des Konzepts haben die Entwickler eine ähnliche Anordnung gewählt wie bei den pneumatisch angetriebenen Rüsselprojekten der Vergangenheit. Pro Segment sind drei Drahtbündel aus jeweils zwei oder vier Einzeldrähten verbaut. Es lässt sich dadurch je nach der separaten Aktivierung der Drähte in eine definierte Richtung lenken. Im Zusammenspiel miteinander sorgen diese künstlichen Muskeln in den Elementen für die flüssigen und flexiblen Bewegungen des Bionic E-Trunk.
Dank seines geringen Eigengewichts von nur zwölf Gramm kann der Rüssel mit den Aktoren aus Formgedächtnislegierungen gut bewegt werden. Diese weisen im Vergleich zu anderen Antriebsprinzipien den höchsten Kraft-Gewicht-Quotienten auf.
In Kombination mit einem Mikrogreifer könnte der Bionic E-Trunk zum Handhaben kleiner Gegenstände eingesetzt werden. Zudem wäre mit dem Konzept ein Dosiervorgang im Bereich der Life Science möglich. Dazu könnte seitlich an der Struktur ein flexibler Schlauch angebracht werden. Mit diesem könnten Flüssigkeiten aus Gefäßen entnommen und in weitere Behälter umgefüllt werden. Auch die Abgabe von gezielten Luftströmen zur Reinigung von Engstellen wäre damit denkbar.
Während mit den pneumatischen Vorgängern ausschließlich das formschlüssige Greifen von Gegenständen demonstriert wurde, ist so mit dem Bionic E-Trunk die Umsetzung weiterer Funktionen des Elefantenrüssels vorstellbar: die Aufnahme und Abgabe von Flüssigkeiten oder Luft.