Algen sind kleine Klimaretter. Bereits bei ihrer natürlichen Photosynthese im Freien sind sie äußerst effizient und binden zehnmal mehr Kohlendioxid (CO₂) als Landpflanzen. In Bioreaktoren mit entsprechender Sensorik, Regelungstechnik und Automatisierung kann die Effizienz der Algen auf das Hundertfache von Landpflanzen gesteigert werden. Daher steckt in ihnen erhebliches Potenzial für eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft. Mit dem Forschungsprojekt PhotoBionicCell zeigen wir einen möglichen Ansatz für die industrielle Biologisierung von morgen.
Mit dem Bioreaktor lassen sich Algen automatisiert kultivieren und ihr Wachstum kontrollieren. Dazu wird die Algenflüssigkeit nach oben in die Flächenkollektoren gepumpt, wo sie sich in gleichmäßiger Strömung verteilt und anschließend wieder in den Kultivator zurückfließt. Während dieser Zirkulation wandeln die Algenzellen mittels Photosynthese in ihren Chloroplasten Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser in Sauerstoff und chemische Energieträger bzw. organische Wertstoffe um. So wird die Biomasse im geschlossenen Kreislauf hocheffizient und ressourcenschonend gezüchtet.
Um die bestmöglichen Bedingungen für die Mikroorganismen zu schaffen, kommt das Zusammenspiel von bewährter Steuerungs- und Regelungstechnik mit neuesten Automatisierungskomponenten zum Tragen. Ein ganzheitliches Begasungskonzept sorgt für die gleichmäßige Verteilung des aus der Luft entnommenen Kohlendioxids in der zirkulierenden Bioflüssigkeit.
Eine große Herausforderung bei Bioreaktoren ist, die Menge der Biomasse genau zu bestimmen. Hierfür setzen unsere Entwickler auf einen Quantentechnologie-Sensor des Start-ups Q.ANT. Dieser gibt präzise und in Echtzeit Auskunft über das Wachstum der Organismen. Die Algen werden ihm dafür automatisiert und kontinuierlich mittels Mikrofluidik von Festo zugeleitet. Der Quantensensor ist in der Lage, optisch einzelne Zellen zu detektieren, sodass die Menge der Biomasse exakt ermittelt werden kann. Zusätzlich untersucht er die Zellen auf ihre Vitalität. Erst dadurch ist es möglich, vorrausschauend auf Prozessereignisse zu reagieren und regelnd einzugreifen.
Abhängig von den Nährstoffen, die der Algenbiomasse zugeführt werden, bilden sich als Produkte ihrer Stoffwechselvorgänge Fettsäuren, Farbpigmente und Tenside. Diese dienen als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Medikamenten, Lebensmitteln, Kunststoffen, Kosmetika oder Kraftstoffen. Anders als Produkte auf Erdölbasis können die biobasierten Endprodukte meist biologisch abgebaut und – ganz im Sinne einer gesamthaften Kreislaufwirtschaft – immer klimaneutral rückgeführt werden.
Für die Arbeiten zu PhotoBionicCell haben sich unsere Forscher auf die Kultivierung der Blaualge Synechocystis fokussiert. Sie produziert Farbpigmente, Omega-3-Fettsäuren und Polyhydroxybuttersäure (PHB). Dieses gewonnene PHB lässt sich durch den Zusatz weiterer Stoffe zu einem Filament für den 3D-Druck verarbeiten. Mit dieser modernen Produktionstechnologie können in kurzer Zeit komplexe Formen nachhaltiger Kunststoffkomponenten oder Verpackungen hergestellt werden. Bei PhotoBionicCell sind beispielsweise bestimmte Befestigungsklammern aus dem Biokunststoff verbaut.
In Laboren werden bisher viele Analysen von Hand gemacht. Das ist aufwändig und kann zu Fehlern führen. Durch die Automatisierung solcher Laboranlagen ließen sich zukünftig alle notwendigen Daten direkt und in Echtzeit ablesen und die Forscher könnten sich besser auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.
PhotoBionicCell wird von einer eigens entwickelten Software komplettiert. Ihr Dashboard ermöglicht es, mehrere Photobioreaktoren mit aktueller Datenlage und Live-Aufnahmen abzubilden. So lassen sich rund um die Uhr auch aus der Ferne manuelle Parameteränderungen und die entsprechenden Auswertungen vornehmen. Dadurch können die Nutzer jederzeit auf Veränderungen im Bioreaktor reagieren und beispielsweise die Produkternte zum optimalen Zeitpunkt einleiten.
Ergänzt wird das digitalisierte Labor durch eine Augmented-Reality-Anwendung. Per Tablet lässt sich die Realität erweitern, um technische Abläufe, Prozessparameter und Informationen zu Prozessen im Inneren des Bioreaktors zu visualisieren.
Zur Auswertung der Daten setzen unsere Entwickler auch Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) ein. Damit kann der Bioreaktor entweder auf die Vermehrung der Algenkulturen optimiert werden oder darauf, vorgegebene Wachstumsparameter bei minimalem Energieeinsatz zu erhalten. Außerdem könnte die Haltbarkeit von Ventilen und anderen Komponenten damit prognostiziert werden. Denkbar wäre auch der Einsatz von digitalen Zwillingen, die mit Hilfe von KI erstellt werden. Mit ihnen könnten künftig komplette Lebenszyklen von Bioreaktoren simuliert und virtuell abgebildet werden. Auch das zu erwartende Zellwachstum unterschiedlichster Mikroorganismen ließe sich dann bereits vor dem physischen Aufbau eines realen Systems mit großer Genauigkeit abschätzen.
Neben der Optimierung der Laboranlagen durch Automatisierung und Digitalisierung bietet die so genannte künstliche Photosynthese eine weitere, vielversprechende Perspektive für eine noch effizientere Kultivierung von Biomasse. Mit unserem Projektpartner Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie Marburg haben wir einen Dispensierautomaten entwickelt, um einzelne Enzyme der Photosynthese zu verbessern. Dafür müssen tausende Varianten eines Enzyms getestet werden. Der entwickelte Dispensierautomat erledigt dies verglichen mit dem händischen Pipettieren deutlich schneller und fehlerfrei. Zudem ist der Automat in Sekunden an neue Aufgaben anpassbar.
Aber nicht nur einzelne Bausteine der Photosynthese lassen sich optimieren. Die Wissenschaftler arbeiten daran, ganze Stoffwechselwege digital zu optimieren. Dieser Ansatz nennt sich synthetische Biologie. Ein am Computer optimierter Stoffwechselweg wird in synthetisch hergestellte Zellen verpackt, so genannte Droplets. Diese haben einen Durchmesser von rund 90 Mikrometern und enthalten alle notwendigen Enzyme und Biokatalysatoren. Dadurch sind sie in der Lage, wie ihre biologischen Vorbilder, das Kohlendioxid mittels Lichtenergie zu fixieren.
Auch wenn wir uns noch mitten im Entwicklungsprozess befinden, deutet sich bereits heute das Potenzial für die Zukunft an: Treffen Expertise in Automation und Grundlagenforschung zusammen, lässt sich der Weg zur kohlendioxidneutralen Produktion im industriellen Maßstab schneller beschreiten. Daher forschen wir auf dem Gebiet der Biologisierung.