100 Meter unter der Erde

Automatisierte Luftanalyse am CERN mit der Festo Ventilinsel VTSA

Im größten Forschungslabor für Teilchenphysik, dem CERN, entschlüsseln Tausende von Wissenschaftlern bislang ungelöste Rätsel der Physik. Automatisierungstechnik, intelligent und flexibel eingesetzt, unterstützt wirkungsvoll wissenschaftliche Forschung. So steuert die Festo Ventilinsel VTSA die Analyseprozesse der inneren Experiment- und Kavernenluft am „Compact Muon Solenoid“-Detektor (CMS).

Tief unter der Erde, nahe des Genfer Sees, durchsieben riesige Dektoren am Teilchenbeschleuniger „Large Hadron Collider“ (LHC) des CERN (Europäische Organisation für Hochenergie Teilchenphysik) den Strom subatomarer Teilchen und sammeln gigantische Mengen von Daten, die leistungsstarke Algorithmen auswerten. Moderne Technologien machen im Großen sichtbar, was im Kleinen den Kosmos, wie wir ihn kennen, zusammenhält.

Die Existenz der Materie

Ein Meilenstein in der Teilchenphysik war die Entdeckung des subatomaren Teilchens, des so genannten Higgs-Teilchens, im Jahr 2012 am CERN. Bereits in den 1960ern sagten die Wissenschaftler Robert Brout, François Englert und Peter Higgs dessen Existenz voraus. Nach dem damals geltenden Standardmodell der Physik durfte es genau genommen keine Masse geben. Subatomare Teilchen sollten sich eigentlich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Dadurch besäßen sie jedoch wie gesagt keine Masse. Dennoch entwickelten die drei Forscher die Theorie des Higgs-Feldes. Das Higgs-Feld verlangsame die kleinsten Teilchen – vergleichbar mit durch Honig fliegenden Kügelchen – und verleihe ihnen Trägheit und damit Masse, so die Annahme. Und tatsächlich, 50 Jahre später, war es so weit: Protonen wurden bei Experimenten im LHC in nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um sie miteinander kollidieren zu lassen. Dabei lösten sich Higgs-Teilchen aus dem Higgs-Feld und waren mess- und damit tatsächlich nachweisbar. Die Existenz der Materie war bewiesen. Higgs und Englert erhielten für ihre Theorie im Jahr 2013 den Nobelpreis für Physik, Brout verstarb 2011.

Der Größte seiner Art

Forschen bedeutet am CERN wissenschaftliches Arbeiten in atemberaubenden Dimensionen. 1954 gegründet, beschäftigt das von 22 Staaten mit fast einer Milliarde Euro pro Jahr geförderte Forschungszentrum heute mehr als 2500 Wissenschaftler. Über 12.000 Gastwissenschaftler aus aller Welt arbeiten an CERN-Experimenten. Das größte Labor der Welt für Teilchenphysik betreibt mehrere miteinander gekoppelte Beschleuniger, die verschiedene Arten von Teilchen für eine Vielzahl von Experimenten bereitstellen. Dazu zählen unter anderem Myonen zur Erforschung der Struktur des Protons, Schwerionen zur Schaffung neuer Materiezustände und radioaktive Ionenstrahlen zur Beobachtung von exotischen Kernen.

Der weltweit größte und leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger ist der LHC. Er befindet sich rund 100 Meter tief unter der Erde in einem kreisförmigen Tunnel mit rund 27 Kilometer im Umfang. Der LHC bedient sich starker elektrischer Felder, um Energie auf Teilchenstrahlen zu übertragen und leitet die Strahlen mittels magnetischer Felder durch die Anlage. Dabei nehmen die Teilchen immer mehr Beschleunigungsenergie auf, bis sie mit nahezu Lichtgeschwindigkeit den LHC umlaufen – 11.245-mal pro Sekunde. Kollidieren sie, registrieren vier riesige Detektoren – CMS, ATLAS, ALICE und LHCb – was geschieht.

Sicherheit steht immer an erster Stelle

Der CMS-Detektor ist ein technologisch hoch entwickeltes Nachweisgerät von 21 Metern Länge, 15 Metern Durchmesser und 12.500 Tonnen Gewicht. Zusammengesetzt aus 100 Millionen einzelnen Messelementen, führt es bis zu 40 Millionen Messungen pro Sekunde durch und gilt als eines der komplexesten und präzisesten wissenschaftlichen Instrumente, die jemals gebaut wurden. Um Messfehler zu vermeiden, müssen sich alle Einflussfaktoren innerhalb definierter Toleranzen bewegen.

Zu diesen Einflussfaktoren zählt auch die Zusammensetzung der Umgebungs- und Atemluft in den unterirdischen Experiment-Kavernen. Zur Bestimmung des gleichbleibend einwandfreien Zustandes wird deshalb kontinuierlich innerhalb und außerhalb des Detektors an mehr als 100 Messstellen Luft entnommen und analysiert. Dies ist umso wichtiger, da „Compact“, wie im Experimentnamen CMS enthalten, auch bedeutet, dass man nicht überall und an jeder Stelle schnell intervenieren kann. Denn im Falle einer kritischen Situation, wie beispielsweise eines Gaslecks oder eines Brandes im Inneren des Detektors, würde es bis zu 2 Wochen dauern, um über Notöffnungen an die inneren Bereiche heranzukommen.

Intelligent automatisiert

In der Vergangenheit arbeitete für jede einzelne Luftentnahmestelle ein eigenes Analysegerät, was zu hohen Kosten führte. Auch der Wartungsaufwand und die mögliche Fehlerrate waren für CERN-Maßstäbe zu hoch. Seit Anfang 2016 sorgen Ventilinseln vom Typ VTSA dafür, dass die Luftströme auf schnellstem Wege zu den Analysegeräten geführt werden. Die neue Lösung reduziert die Anzahl der benötigten Analysegeräte um den Faktor 10. Die Luftströme werden nun zentral zusammengeführt und nachgelagerten Analysegeräten zugewiesen. Die per Druckluft vorgesteuerten Hauptventile der VTSA besitzen den Vorteil, dass sie gegenüber dem Magnetismus des CMS-Detektors unempfindlich sind. Für den Einsatz bei CERN wurde die Ventilinsel auf die individuellen Anforderungen konfiguriert. Wichtigste technische Adaption: der reversible Betrieb.

Im Normalbetrieb wird die zu analysierende Luft einer Messleitung durch die Ventilinsel zur nachgelagerten Analysestation geleitet. Gleichzeitig werden im Unterdruckbetrieb alle anderen meterlangen Messleitungen dauerhaft angesaugt. Beim Umschalten auf die nächste Messleitung liegt somit die aktuelle Umgebungsluft direkt am jeweiligen Ventil an. Durch diese flexible Anwendung bieten die hochwertigen Standardkomponenten der VTSA eine intelligente technische Lösung, die dem CMS auf Leistungs- und Kostenebene einen nachhaltigen Effizienzzuwachs bietet.

Kleiner Schritt, große Zukunft

Begonnen hat das gemeinsame Projekt der automatisierten Luftanalyse im August 2015; Ende Oktober wurden die Einheiten ausgeliefert. Anfang 2016 konnte das neue System in Betrieb genommen werden. „Die Wahl für Festo als Lieferant dieser Technologie war für uns schon alleine dadurch gegeben, da wir im CERN und CMS schon seit Jahren Festo Produkte zu unserer vollsten Zufriedenheit ein setzen“, erklärt Gerd Fetchenhauer, CMS Gas Safety Officer bei CERN.

Wurden bisher überwiegend Einzelkomponenten bezogen, ist die einbaufertige Systemlösung in der langjährigen Zusammenarbeit von Festo und CERN die erste ihrer Art und kann die Grundlage bilden für ähnliche Anwendungen in weiteren Detektoren des Large Hadron Collider. Damit auch in Zukunft viele kleine Schritte zu neuen, großen wissenschaftlichen Entdeckungen führen.


www.cern.ch

  1. Dieser Artikel erschien im Festo Kundenmagazin trends in automation 2.2016

    Bilder: CERN

September 2016

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