Diese Mikroschadstoffe oder Spurenstoffe haben nachgewiesenermaßen erhebliche Folgen für die Umwelt: So führen etwa bestimmte Betablocker, Anti-Epileptika und Empfängnisverhütungsmittel, die in die Gewässer gelangen, bei Fischen zu Schädigungen und Veränderungen von Organen, Geschlechtsmerkmalen und Verhalten. Wie sie den menschlichen Organismus schädigen, versuchen Wissenschaftler gerade herauszufinden.
Mikroplastik in Größen von fünf Mikrometern bis fünf Millimetern und Spurenstoffe lassen sich größtenteils erst in einer vierten Reinigungsstufe beseitigen. Dem Wasser wird dabei in einem Kontaktbecken pulverisierte Aktivkohle beigemischt. Die Aktivkohle mit ihrer porösen und brüchigen Struktur verfügt über eine riesige innere Oberfläche. Physikalisch gesehen hat ein Teelöffel Aktivkohlepulver eine so große Oberfläche wie ein Fußballfeld. Auf dieser Fläche haben die Spurenstoffe jede Menge Platz, sich anzulagern. Dafür bleibt das mit Aktivkohle angereicherte Wasser 15 bis 20 Minuten im Kontaktbecken. Um nach diesem Reinigungsprozess das Wasser wieder von der Aktivkohle zu befreien, wird in konventionellen Anlagen ein weiteres Becken, das so genannte Absetzbecken, benötigt. Hier sinkt die Aktivkohle zu Boden und wird inklusive der an ihr gebundenen Spurenstoffe später mit dem Klärschlamm abgetrennt und verbrannt. Notwendig ist außer dem Kontaktbecken für die Aktivkohlebehandlung auch eine größere Investition in ein großes Absetzbecken, das überproportional viel Fläche verbraucht. Messungen ergaben, dass dieses Verfahren 80 Prozent der Arzneimittelrückstände sowie Röntgenkontrastmittel aus dem Abwasser entfernt. Kläranlagen ohne diese vierte Reinigungsstufe halten nur 30 Prozent der erfassten Spurenstoffe zurück.
Aber die Entfernung von 80 Prozent der Mikroschadstoffe waren der ostwestfälischen Kleinstadt Barntrup noch zu wenig, zumal das gereinigte Wasser über ein Flusssystem in ein Trinkwassereinzugsgebiet gelangen kann. „Daher entschied man sich in Barntrup für die weltweit erste Reinigungsanlage mit Fuzzy Filtern® der Firma Bosman Watermanagement“, erklärt Frank Waermer, Geschäftsführer und Beratender Ingenieur des Ingenieurbüros Danjes aus Detmold. „Mit der eingesetzten Filteranlage erreichen wir sogar die Eliminierung von 95 Prozent aller Spurenstoffe sowie zusätzlich die Reinigung des Abwassers von Mikroplastik und Phosphor.“ Das Ingenieurbüro Danjes hat die gesamte Anlage geplant und die Umsetzung koordiniert.
„Kernstück der Filteranlage sind die Fuzzy Filter® Balls“, sagt Dr. Kathrin Gantner, Büroleiterin der Bosman Watermanagement GmbH in Berlin. Bosman ist der Anlagenbauer der Filter und Flockulatoren. Die Fuzzy Filter® Balls bestehen aus synthetischen Fasern, die mit Hilfe eines Clips zu einer Kugel von etwa 33 Millimetern Durchmesser verarbeitet sind. Die hohe Porosität und die geringe Dichte des Mediums sorgen dafür, dass eine Fuzzy-Filter®-Anlage mindestens die zwei- bis dreifache Menge an abfiltrierbaren Feststoffen aufnehmen kann wie Sand- oder Tuchfilter – eine wahre Wunderfaser gegen Mikroschadstoffe.
Im Unterschied zu konventionellen Filtersystemen strömt die zu filtrierende Flüssigkeit sowohl um das Filtermaterial herum als auch durch dieses hindurch – und nicht am Medium entlang, wie dies bei Sandfiltern der Fall ist. Die zu filtrierende Suspension fließt in die Verteilerkammer unter dem Filterbett. In der Verteilerkammer wird das einströmende Wasser gleichmäßig über die Filteroberfläche verteilt, bevor es durch die untere festmontierte, perforierte Platte in das Filterbett hineinströmt. Im Filterbett werden die an die Aktivkohle adsorbierten Mikroschadstoffe, der gefällte Phosphor und Mikroplastik aufgefangen und das gefilterte Wasser strömt an der Oberseite wieder aus dem Fuzzy Filter® hinaus.
Sobald ein vorgegebener Trübungswert oder ein vorher definierter Maximaldruck im Filterbett erreicht ist, wird der Rückspülzyklus gestartet. Bei der Rückspülung strömt Rohwasser in den Filter, während ein externes Gebläse Spülluft einbläst, um das Filtermedium in Bewegung zu versetzen. Die Filterbällchen, die sich zwischen den perforierten Platten frei bewegen, werden vom Luftstrom wie bei einem Tanz in Turbulenzen versetzt, so dass sich an- und eingelagerte Schmutzpartikel lösen und aus dem Filter herausgespült werden.
Die Aktivkohle wird mit dem Spülabwasser zurück ins Belebungsbecken geführt und ein weitergehender Reinigungsprozess initiiert, da die Aktivkohle nach dem ersten Spülgang noch Ladekapazitäten für Mikroschadstoffe hat. Sie ist nach einem Reinigungsvorgang erst zu einem Bruchteil mit Spurenstoffen beladen. „Dieser Vorgang kann mehrmals wiederholt werden, so dass sich mit dem Fuzzy Filter®-Verfahren von Bosman viel mehr Mikroschadstoffe unschädlich machen lassen als beim Aktivkohle-Einwegverfahren. Bei diesem wird die Aktivkohle nach einem einzigen Reinigungsgang im Absetzbecken mit dem Klärschlamm vereint und abgezogen“, erklärt Gantner.
Das automatisierte Öffnen und Schließen sämtlicher Klappen und Schieber zum Einströmen des mit Mikroschadstoffen belasteten Abwassers und zum Ausströmen des gereinigten Wassers übernehmen Schwenkantriebe vom Typ DAPS sowie die Linearantriebe DLP – alle pneumatisch. Weitere Klappen und Schieber mit den genannten pneumatischen Antrieben führen Spülluft zu und öffnen und schließen den Schlammabzug. Im kleinen Pumpwerk, das Wasser von der biologischen Klärstufe in die vierte Reinigungsstufe pumpt, sind ebenfalls automatisierte Schieber am Werk.
Beim Schwenkantrieb DAPS wird das Drehmoment mit einer Hebel-Schwinge-Kinematik erzeugt, um hohe Losbrechmomente der Armatur zu überwinden. Die Robustheit und Drehmomentabstufung sorgt für Sicherheit bei Armaturen mit auf 90° beschränktem Drehwinkel wie etwa Kugelhähnen und Absperrklappen. Die pneumatischen Linearantriebe DLP wirken direkt auf die Schieberplatte und ermöglichen das zuverlässige Öffnen/Schließen oder auch das genaue Anfahren verschiedener Positionen von Absperr- und Regelschiebern.
Die modularen MPA-Ventilinseln mit Multipol steuern die Antriebe an. Diese Ventilinseln sowie Wartungseinheiten der MS6-Reihe sind sicher in Schaltschränken geschützt, die Festo einbaufertig geliefert hat. „Wie wir schon in vielen unserer Projekte erlebt haben, zeichnen sich die pneumatischen Komponenten von Festo durch hohe Robustheit und Zuverlässigkeit aus“, so Waermer. „Pneumatik ist in unseren Wasser- und Abwasserprojekten gegenüber elektrischen Lösungen erste Wahl, weil pneumatische Komponenten deutlich kostengünstiger und viel kompakter als elektrische sind. Außerdem bringen sie den Ex-Schutz gleich mit und lassen sich selbst bei Stromausfall mit ihrem Druckluft-Reservoir noch für eine bestimmte Zeit bedienen.“
„Bei Planung und Ausführung des Projekts hat uns Festo Experte Winfried Plaßmann immer mit Fachkompetenz und hohem Einsatz zur Seite gestanden“, ergänzt Barntrups Abwassermeister Hermann Klippenstein. „Überzeugend war für uns nicht nur die Zuverlässigkeit und Durchgängigkeit der pneumatischen Systeme – inklusive Anschluss ans Prozessleitsystem, sondern auch die Zuverlässigkeit in der Beratung“, meint Ingenieur Waermer.