Ob greifen, halten oder drehen, tasten, tippen oder drücken – im Alltag nutzen wir unsere Hände wie selbstverständlich für die unterschiedlichsten Aufgaben. Dabei ist die menschliche Hand ein wahres Wunderwerkzeug der Natur. Was liegt da näher, als Roboter in kollaborativen Arbeitsräumen mit einem Greifer auszustatten, der diesem natürlichen Vorbild nachempfunden ist und durch künstliche Intelligenz lernen kann, verschiedenste Greif- und Drehaufgaben zu lösen?
Bei der BionicSoftHand kommt die Methode des Reinforcement Learnings zum Einsatz, des Lernens durch Bestärken. Das bedeutet: Statt einer konkreten Handlung, die sie nachahmen muss, bekommt die Hand lediglich ein Ziel vorgegeben. Dieses versucht sie durch Ausprobieren (Trial-and-Error) zu erreichen. Anhand des erhaltenen Feedbacks – positiv wie negativ – optimiert sie nach und nach ihre Aktionen, bis sie schließlich die gestellte Aufgabe erfolgreich löst.
Konkret soll die BionicSoftHand einen zwölfseitigen Würfel so drehen, dass am Ende eine vorher festgelegte Seite nach oben zeigt. Das Einlernen der dazu nötigen Bewegungsstrategie geschieht in einer virtuellen Umgebung anhand eines digitalen Zwillings, der mithilfe der Daten einer Tiefenkamera und der Algorithmen der künstlichen Intelligenz erstellt wird.
Das digitale Simulationsmodell beschleunigt das Training erheblich, insbesondere wenn man es vervielfacht. Beim so genannten Massive Parallel Learning wird das erlangte Wissen mit allen virtuellen Händen geteilt, die dann mit dem neuen Wissensstand weiterarbeiten: Jeder Fehler wird so nur einmal gemacht. Erfolgreiche Aktionen stehen sofort allen Modellen zur Verfügung.
Nachdem die Steuerung in der Simulation trainiert ist, wird sie auf die reale BionicSoftHand übertragen. Mit der virtuell erlernten Bewegungsstrategie kann sie den Würfel auf die gewünschte Seite drehen und zukünftig auch andere Gegenstände entsprechend orientieren. So ließen sich einmal gelernte Wissensbausteine und neue Fertigkeiten auch mit weiteren Roboterhänden teilen und global zur Verfügung stellen.
Im Gegensatz zur menschlichen Hand besitzt die BionicSoftHand keine Knochen. Sie steuert ihre Bewegungen über die pneumatischen Balgstrukturen in ihren Fingern. Werden die Kammern mit Luft befüllt, krümmen sich die Finger. Sind die Luftkammern leer, bleiben die Finger gestreckt. Daumen und Zeigefinger sind zusätzlich mit einem Schwenkmodul ausgestattet, wodurch sich diese beiden Finger zusätzlich seitlich bewegen lassen. Dadurch verfügt die bionische Roboterhand über insgesamt zwölf Freiheitsgrade.
Die Bälge in den Fingern sind von einem speziellen 3D-Textilmantel umschlossen, der sowohl aus elastischen als auch hochfesten Fäden gestrickt ist. Damit kann über das Textil genau bestimmt werden, an welchen Stellen die Struktur sich ausdehnt und damit Kraft entfaltet und wo sie an der Ausdehnung gehindert wird.
Um den Aufwand für die Verschlauchung der BionicSoftHand möglichst gering zu halten, haben die Entwickler eigens eine kleinbauende, digital geregelte Ventilinsel konstruiert, die direkt unterhalb der Hand angebracht ist. Dadurch müssen die Schläuche zur Ansteuerung der Finger nicht durch den kompletten Roboterarm gezogen werden. So lässt sich die BionicSoftHand mit nur je einem Schlauch für Zuluft und Abluft schnell und einfach anschließen und in Betrieb nehmen. Mit den eingesetzten proportionalen Piezoventilen lassen sich die Bewegungen der Finger präzise regeln.
Ihre flexible, pneumatische Kinematik und der Einsatz von elastischen Materialien und leichten Bauteilen unterscheiden die BionicSoftHand von elektrischen oder seilzugaktuierten Roboterhänden und machen eine preiswerte Herstellung möglich. Durch ihren modularen Aufbau sind dabei auch Greifervarianten mit drei oder vier Fingern möglich.
Kombiniert mit pneumatischen Leichtbaurobotern – wie dem BionicCobot oder dem BionicSoftArm – ist eine direkte und sichere Zusammenarbeit im Sinne der Mensch-Roboter-Kollaboration möglich. Beide Roboter sind von Grund auf nachgiebig und müssen nicht wie konventionelle Fabrikroboter vom Werker abgeschirmt werden.
Damit ist die BionicSoftHand prädestiniert für Anwendungen in den kollaborativen Arbeitsräumen der Fabrik von morgen. Da die flexible Roboterhand sowohl kräftig als auch sensibel greifen kann, ist ein Einsatz als helfende dritte Hand in der Montage ebenso denkbar wie eine Verwendung in der Servicerobotik.