(R)Evolution 4.0
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster,
einer der weltweit führenden Experten für
Künstliche Intelligenz, gibt Einblicke in die industriellen Prozesse der Zukunft. In der Welt
der so genannten ‚Industrie 4.0‘ verstehen Maschinen ihre Umgebung und tauschen sich
miteinander per Internetprotokoll aus. Bereits in fünf Jahren sollen die ersten Fabriken der
neuen industriellen Evolution in Betrieb gehen.
Schwerpunkt Interview
trends in automation:
Herr Prof. Wahlster, in Experten
runden und Fachmedien fällt immer öfter der Begriff
„Industrie 4.0“. Maschinen sollen in Zukunft miteinander
kommunizieren und die klassische Industrieproduktion
auf den Kopf stellen. Befinden wir uns tatsächlich, wie viele
behaupten, auf dem Weg in die 4. industrielle Revolution?
Prof. Wolfgang Wahlster:
Ja, mit cyber-physischen Produkti-
onssystemen wird die bestehende Fertigungslogik revolutio-
niert, weil hier das einzelne Werkstück selbst bestimmt, welche
Leistungen es von den Fabrikanlagen abruft. Diese völlig
neuartige Architektur von Produktionssystemen kann aber
schrittweise durch die digitale Veredelung bestehender Ferti-
gungsanlagen umgesetzt werden, sodass diese disruptive Idee
nicht nur in völlig neuen Fabriken, sondern in einer Evolution
auch in Bestandsfabriken inkrementell realisiert werden kann.
Auch in der gegenwärtigen Industrie 3.0 erkennen wir bereits
erste Anzeichen für den bevorstehenden Wandel von der star-
ren zentralen Fabriksteuerung zu einer dezentralen Intelligenz.
Immer mehr Sensoren erfassen immer genauer ihre Umgebung
und treffen in eingebetteten Prozessorsystemen eigene
Entscheidungen unabhängig von einem zentralen Fertigungs-
steuerungssystem. Was heute noch fehlt, ist eine intensive
kabellose Vernetzung der Komponenten untereinander, der
permanente Austausch von Informationen, das Zusammen-
führen von verschiedenen Sensorauswertungen zur Erken-
nung komplexer Ereignisse und kritischer Zustände und
deren situationsabhängige Interpretation sowie die weitere
Handlungsplanung aufgrund dieser Erkenntnisse.
Warum braucht die Industrieproduktion einen höheren Grad
der Vernetzung intelligenter Maschinen?
Wahlster:
In der heutigen Fabrikwelt entstehen riesige Daten-
mengen durch immer mehr Messpunkte, mit denen Maschinen
zwar spielend fertig werden, die der Mensch aber nicht mehr
schritthaltend verarbeiten kann. Daher ist es sinnvoll, dass in
bestimmten Bereichen der Produktion Maschinen mit Maschi-
nen kommunizieren. Man kann viele Prozesse effizienter,
flexibler und kostengünstiger gestalten, indem man instrumen-
tierte Umgebungen schafft. Dabei wird sehr kleine, preiswerte
Funksensorik über eine Produktionsanlage verteilt, die es
Objekten ermöglicht, ihre Umgebung zu erfassen und sich
untereinander kabellos auszutauschen. Mehrere unterschiedli-
che technische Sensoren wie beispielsweise optische Senso-
ren, Druck-, Temperatur- und Infrarotsensoren fusionieren ein
Gesamtbild der Situation, sie nehmen wahr, was gerade in
ihrem Umfeld geschieht.
So werden in der Welt von Industrie 4.0 Produkte und
Fertigungsanlagen zu aktiven Systemkomponenten, die ihre
eigene Herstellung und Logistik steuern. Sie enthalten
cyber-physische Systeme, welche die Cyberwelt des Internet
mit der realen physischen Welt verknüpfen. Sie unterscheiden
sich von heutigen mechatronischen Systemen jedoch durch
die Fähigkeit, mit ihrer Umgebung zu interagieren, das eigene
Verhalten in Abhängigkeit der Umgebungssituation zu planen
und anzupassen sowie neue Verhaltensweisen und -strategien
zu erlernen und sich somit selbst zu optimieren. Mit ihrer
Hilfe lassen sich auch kleinste Losgrössen bei raschem
Produktwechsel und hoher Variantenzahl effizient herstellen.
Durch eingebettete Sensor-Aktuator-Komponenten, Maschine-
zu-Maschine-Kommunikation und aktive semantische
Produktgedächtnisse werden neue Optimierungsverfahren
für die Ressourcenschonung im industriellen Umfeld
Zur Person
Prof. Dr. Dr. h.c. mult.
Wolfgang Wahlster
Der promovierte Informatiker forscht und lehrt an der
Universität des Saarlandes auf dem Gebiet der Künst-
lichen Intelligenz. Wolfgang Wahlster ist Vorsitzender
der Geschäftsführung und technisch-wissenschaftlicher
Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstli-
che Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern, Saarbrücken,
Bremen und Berlin. Als Mitglied der Forschungsunion
der Bundesregierung und als Vorsitzender des höchsten
Beratungsgremiums der Europäischen Union zum Internet
der Zukunft (FI-PPP Programm) berät er Europas politi-
sche Entscheidungsträger. Prof. Wahlster gilt weltweit als
einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Künst-
lichen Intelligenz. Seine Forschungen wurden mit dem
Zukunftspreis des Bundespräsidenten ausgezeichnet.