„Die Entwicklungen der aufstrebenden
Wirtschaftsnationen können in
zehn, zwanzig Jahren für Europa
Vorbildfunktion haben.“
Peter Cornel, Institut IWAR TU Darmstadt
Megastädten. Als ich vor zwanzig Jahren nach Shanghai reiste,
wurde die Stadt mit rund sieben Millionen Einwohnern gehan-
delt, heute spricht man von 17 bis 22 Millionen. Ende der
1990er Jahre haben wir gemeinsam mit den Kollegen der Tong-
ji-Universität über die Abwasserableitung sowie Grösse und
Konzept der neuen Kläranlage diskutiert. Die Anlage ist jetzt
fertiggestellt und meines Wissens nach die grösste der Welt.
Doch mit dem exponentiellen Bevölkerungswachstum konnte
damals niemand rechnen und so genügt sie heute schon nicht
mehr den an sie gestellten Anforderungen.
Wie kann man dem begegnen?
Cornel:
Solche Entwicklungen fordern Lösungen, die über
die in der westlichen Welt vorhandenen Strukturen hinausgehen.
Während wir Wasser in der Regel einmal verwenden und dann
als Abwasser entsorgen, dürfen die Megastädte sich diesen
extensiven Umgang mit Wasser nicht erlauben. Sie können
Wasser nicht über weite Strecken transportieren, hochwertig
aufbereiten und dann nur einmal nutzen. Zentral organisierte
Konzepte, bestehend aus einem grossen Klärwerk, das Abwasser-
kanäle versorgt, sind nicht mehr zeitgemäss, da sie nur bedingt
mit dem Städtewachstum in Asien mithalten können und den
heutigen Anforderungen an Ressourcenschutz nicht genügen.
Wie kann man die neuen Herausforderungen, die Megastädte
an die Wasserver- und -entsorgung stellen, lösen?
Cornel:
Neue Wohneinheiten in den Megastädten Chinas bei-
spielsweise werden häufig für mehrere 10 000 Bewohner
von einem Investor gebaut. Sinnvoll ist es dann, dass dieser die
Wasserver- und -entsorgungseinrichtung gleichzeitig mit baut.
Das schwach verschmutzte Abwasser aus Duschen, Hand-
waschbecken und Waschmaschinen, das sogenannte Grauwasser,
kann gereinigt und dann als Brauchwasser für die Toiletten
spülung zur Verfügung gestellt werden. So spart man 30 bis
40 Prozent wertvollen Trinkwassers. Die Qualität des Brauch-
wassers reicht für die Toilette aus. Es lässt sich mit wenig
Aufwand so reinigen, dass es farb- und geruchlos sowie hygie-
nisch einwandfrei ist. Stark verschmutztes Abwasser aus
Toiletten und ggf. Küche kann bei Bedarf so gereinigt werden,
dass man damit innerstädtische Grünflächen bewässern kann.
Auf diese Weise wird das gleiche Wasser nicht nur einmal,
sondern gleich dreimal benutzt.
Ein grosser Vorteil solcher sogenannter semizentraler Anlagen
ist, dass sie flexibel mit Städten mitwachsen. Mit ihnen be-
kommt man die Zukunftsplanung von Megastädten viel besser
in den Griff als mit grossen zentralen Ver- und Entsorgungs-
lösungen. Semizentrale Anlagen eignen sich ideal für Stadtteile
von 50 000 bis 70 000 Einwohnern.
Existieren solche semizentralen Anlagen der Wasserauf
bereitung und -verwendung schon?
Cornel:
In Qingdao bauen wir vom IWAR Institut in Zusammen
arbeit mit unserer Partneruniversität in Tongji sowie der Stadt
Qingdao und den Organisatoren der Weltgartenbauausstellung
2014 und mit Unterstützung der deutschen und chinesischen
Forschungsministerien eine Referenzanlage für 12 000 Menschen.
Zusätzlich zur Wasserversorgung und Abwasserwiederaufbe-
reitung bezieht die Anlage auch organische Abfälle, beispiels-
weise aus der Küche, mit ein. Aus der daraus gewonnenen Energie
lässt sich die Kläranlage energieautark betreiben. Somit leisten
wir neben der Wasserbehandlung gleichzeitig einen wichtigen
Beitrag zum Thema Müllentsorgung.
An dieser Stelle wird deutlich, dass in den Umweltlösungen
der Zukunft mehrere Disziplinen gefordert sind. Neben der
Abwasser- und Abfallbehandlung spielt die Wärme- und Energie-
wirtschaft eine Rolle. Denn für die Abwasseraufbereitung
braucht man Energie und diese kann aus Abfallstoffen gewon-
nen werden. Entscheidend trägt zum Gelingen semizentraler
Lösungen auch ein wachsender Grad der Automatisierung bei.
Unter anderem im Bereich der Fernüberwachung in Form von
Online-Messtechnik, die das Steuern und Kontrollieren ver