S
eit über 50 Millionen Jahren
bevölkern Geckos die Erde. Das
Geheimnis ihres Erfolgs sind
ihre Füsse. In den Zehen der
kleinen Kletterer steckt enorme Haft-
kraft. Grund genug für die Bionik-Spezia-
listen von Festo, es ihnen in einem aktu-
ellen Forschungsprojekt gleichzutun,
nicht selbst, versteht sich, sondern mit
dem NanoForceGripper. Der bionische
Greifer ahmt den Fuss des Geckos erfolg-
reich nach. Er kann selbst spiegelglatte
Oberflächen von Smartphones energieef-
fizient und frei von Druckstellen aufneh-
men und wieder lösen.
Nanokräfte haften fest
Der Name ist Programm. Der NanoForce-
Gripper, ein Prototyp, arbeitet mit
Kräften auf der Ebene von Atomen und
Molekülen: den sogenannten Van-
der-Waals-Kräften. Denen bedient sich
auch der Gecko. Ganz ohne klebriges
Sekret oder Saugnäpfe erklimmt
der kleine Kletterer die Senkrechte.
Sein Erfolgsgeheimnis zeigt sich unter
dem Elektronenmikroskop: ein wahrer
Teppich feinster Härchen. Zwischen
jedem einzelnen von ihnen und einzelnen
Molekülen glatter Flächen findet die
Wechselwirkung der Van-der-Waals-Kräfte
statt. Die Kraft eines Härchens ist
minimal. Doch beim Gecko wie beim Nano
ForceGripper wird sie durch den Faktor
29 000 pro cm
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verstärkt. Auf diese Weise
hält der Gecko mit nur einem Fuss bis zu
10 kg Gewicht.
Flossenprinzip löst sanft
Der NanoForceGripper verfügt an seiner
Unterseite über eine sogenannte
Gecko-Nanoplast-Folie. Der Greifer als
Ganzes wurde 2012 als Studie im Bionic
Learning Network von Festo konzipiert. In
einer Pilotanlage nimmt er Smartphones
ganz ohne mechanische Verbindung di-
rekt an der Oberfläche ihrer Displays auf.
Um sich von der glatten Struktur wieder
lösen zu können, haben die Festo For-
scher dem Gecko noch einmal genau auf
die Finger, besser gesagt auf die Zehen,
geschaut. Der Gecko löst die Härchen mit
den Van-der-Waals-Kräften, indem er sei-
ne Füsse einfach abrollt. Nach dem glei-
chen Prinzip verfährt der NanoForceGrip-
per und bedient sich einem weiteren
bionischen Prinzip: dem FinRay-Effekt,
der den Schwanzflossen von Fischen nach-
empfunden ist. Bei Krafteinwirkung ver-
formt sich die Haltestruktur des Nano-
ForceGripper von einer geraden in eine
gebogene Fläche. Die wirksame, mit Fo-
lie belegte Haltefläche verkleinert sich
zusehends und das Greifgut löst sich
sanft ab.
Halten ohne Energie
Die Funktionsweise des NanoForce
Gripper zum Lösen von Oberflächen
basiert auf dem Push-Push-Effekt.
Energiefreies Halten und energieeffi
zientes Greifen, die mit einer Push-Push-
Mechanik arbeiten, sind ein Novum für
Greifer. Der NanoForceGripper hält ein ein-
mal gegriffenes Teil dauerhaft, ohne dass
dazu Energie notwendig ist. Einzig für
das Lösen der Verbindung braucht er eine
entsprechende sehr geringe Gegenkraft.
Eine Push-Push-Mechanik in der Konst-
ruktion des Greifers bewegt die adaptive
Struktur beim Ablegen des gegriffenen
Teils automatisch. Dank seiner innovativen
Struktur benötigt der NanoForceGripper
keine zusätzlichen Aktuatoren oder Steue
rungsaufwand.
Druckluftverbrauch wird gesenkt
Die Konzeptstudie macht deutlich, wie
energieeffizientes Automatisieren in
Zukunft aussehen kann. Es veranschau-
licht die intelligente Freisetzung eines
grossen Energieeinsparpotenzials aus be-
stehenden Automatisierungskomponen
ten. Durch den Einsatz des NanoForce-
Gripper kann der Druckluftverbrauch im
Vergleich zu anderen Saugsystemen
dauerhaft reduziert werden. So öffnet der
bionische Greifer nicht nur neue Perspek-
tiven des berührungslosen Greifens.
Er führt auch eindrucksvoll vor, wie inno-
vative Technologien helfen, die indus
trielle Fertigung nachhaltig zu gestalten –
aus der Natur für die Natur.
Der Greifer unter dem Mikroskop:
die Nanostruktur der Folie
400-mal vergrössert.
Forschungsprojekt NanoForceGripper:
Der bionische Greifer nimmt
Smartphones mit Hilfe der Van-der-Waals-Kräfte auf und löst sie durch
den FinRay-Effekt.
Bewegte Bilder:
Einfach QR-Code scannen
und das Video anschauen.
Push-Push-Mechanik:
Aktivieren der
Struktur ohne zusätzliche Aktoren und
Steuerungsaufwand.
2.2013
trends in automation
Kompass
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