

Mit neuen Lernkonzepten ist es womöglich nicht getan.
Eine neue Denke scheint
gefragt, um in einer vernetzen Welt Zusammenhänge zu erkennen – und zu leben.
Experten versprechen sich da viel vom Gemeinschaftssinn.
Ticken wir noch richtig?
Vernetzt denken
W
ir häufen Berge von Wissen
an und können darauf zu-
greifen, wie es uns beliebt –
eine Fülle für den Geist, die
es so frei noch nie gab. Das Zeitalter der
Netzwerke: eine Ära für neue Lernformen
und mit ihnen für das Gedeihen von Ideen
und das Ausleben von Intelligenz? Nicht,
wenn unser Denken weiter alten Struktu-
ren folgt, da sind sich Experten unter-
schiedlichster Couleur offenbar einig. „Ja,
die Wirtschaft ist vernetzt und unser All-
tag auch. Aber hier handelt es sich in ers-
ter Linie um eine technologische Vernet-
zung“, erklärt es Prof. Ulrich Weinberg,
Direktor der HPI School of Design Thin-
king in Potsdam. „Die kleinen Glasplatten
in unserer Hosentasche sind vernetzt, un-
sere Denk- und Handlungsapparate sind
aber noch weitgehend in einem nichtver-
netzten Zustand aus dem letzten Jahrhun-
dert. Und die Diskrepanz wird immer grö-
ßer.“
Spürbar größer, wie das wachsende Be-
dürfnis nach frischen Lernkonzepten und
Bildungsansätzen in vielen Ländern zeigt.
Die Krux: Neues Lernen nach alten Denk-
mustern? Das kann kaum klappen, meint
auch Dr. Andreas Boes. „Alte technizisti-
sche Denkmuster, die noch aus der Ma-
schinenwelt des 19. Jahrhunderts stam-
men, greifen zu kurz“, ist der Vorstand am
Institut für Sozialwissenschaftliche For-
schung München (ISF) überzeugt. „Doch
sie bestimmen noch immer die Art und
Weise, wie wir lernen. Das ist ein funda-
mentales Problem. Denn diese Denkmus-
ter zielen vor allem mit Blick auf den Um-
bruch, mit dem uns die digitale
Transformation konfrontiert, in die falsche
Richtung.“ Entscheidend sei für ihn, „dass
man Neues nicht auf alten Gleisen lernen
kann“.
Ausgedient: Alte Denk- und Lernmuster
Folgen wir alten Gedankenbahnen, finden
wir uns immer weniger zurecht in der zu-
nehmend komplexen Arbeits- und Alltags-
welt. „Wir erleben nun, dass eine neue
gesellschaftliche und globale Handlungs-
ebene über das Internet entstanden ist“,
erläutert Dr. Boes. „Sie ermöglicht nicht
nur neue Kommunikationsformen zwi-
schen den Menschen, sondern auch eine
neue Form des Zugriffs auf Maschinensys-
teme. Man muss nun Menschen, ihre
Kommunikation und ihre Beziehungen in
diesen Handlungsraum mit hineinden-
ken.“ Und genau dafür reichten die alten
Denk- und Lernmuster nicht mehr. Ent-
scheidend sei nun der Gedanke, dass alle
Dinge zusammenhängen, so der Indust-
rie- und Arbeitssoziologe. „Davon müssen
wir eine Vorstellung entwickeln. Sie las-
sen sich nicht mehr trennen.“ Eine neue
Art zu denken ist also gefragt, um in einer
vernetzten Welt nicht nur einzelnen Fäden
zu folgen, sondern Zusammenhänge zu
erkennen und sie zu verknüpfen.